Unsere chaotische Familie

Ich möchte mich nicht beklagen, nein überhaupt nicht. Genauso habe ich mir das schon immer gewünscht. Meine beiden Kinder, Mika und Norea, waren Wunschkinder von beiden von uns. Die kleine Mika kommt ganz nach seinem Vater, immer am Erforschen und schauen, was um sich rum passiert. Schon jetzt mit 9 Monaten macht er die ersten Gehversuche. Norea hingegen blüht in ihrer „Großen Schwester“-Rolle geradezu auf. Erst 4 Jahre und man könnte ab und zu meinen, Mika hat seine Mutter vor sich.

ausflugDoch es ist natürlich nicht alles nur rosig. Mika lässt die Nacht immer noch zum Tag werden, hat aber natürlich den Luxus das bei seinem täglichen Mittagsschlaf nachzuholen. Das ist mir nicht gegönnt, dann gilt es natürlich Norea ruhig zu halten. Ein normales, chaotisches Familienleben eben – so wir es wollen und lieben.

Ich bin froh, dass ich Robert habe. Er unterstützt mich wo er nur kann. Er arbeitet als Tischler und kommt meist sehr spät heim, doch die Wochenenden sind reserviert nur für die Kinder. Dann geht es auch mal los zu Oma.
Oma Hilde ist mittlerweile 85 Jahre alt, steht aber noch mitten im Leben. Na zumindest denkt sie das. Man sollte sich nicht wundern wenn man mal einen versalzenen Kuchen bekommt weil sie mal wieder die Zutaten verwechselt hat. Aber sie nimmt alles mit Humor. „Meine Augen sind halt auch nicht mehr die jüngsten“, sagt sie dann immer und lächelt über beide Backen.
Sie ist auch nicht mehr die Jüngste, das weiß sie auch, doch sie weiß damit umzugehen. Vor kurzem hatte sie in einem Bericht von einem Seniorentelefon gelesen. Robert sollte mal in seinem „Eielektronikdingsbums“ mal schauen um was es sich dabei handelt. Das „Eielektronikdingsbums“, damit meinte sie das „iPhone“ meines Mannes.
Kurzum hatten wir die Information und wir könnten wetten, dass dies mit Sicherheit ein Tipp auf den bevorstehenden Geburtstag nächste Woche war. Ja, ja so vorausschauend ist die alte Dame noch.
Aber uns soll es recht sein, allein der schlechten Augen wegen macht dies auch Sinn.
Norea freut sich schon riesig auf den Geburtstag. Der Höhepunkt ist immer die Schwarzwälder Kirschtorte die sie auf den Tisch zaubert, so als würde sie täglich nichts anderes machen. Danach ist zwar immer ein langer Spaziergang vonnöten aber der Geschmack lohnt sich allemal. Opa Felix musste früher immer den ersten Knopf seiner Hose aufmachen, das war ja ein Schock für mich als er das zum ersten Mal machte. Doch am liebsten hätte ich es auch gemacht.

Du bist eine besondere Frau

waldSilke ist eigentlich ein braves Kind – und das seit 33 Jahren. Sie ist das einzige Kind ihrer überaus fürsorglichen Eltern und sie ist mit allerfeinsten Antennen ausgestattet, wie sie es auch wirklich allen recht machen kann ohne aufzufallen. So beschreitet sie eigentlich schon ihr ganzes Leben den lieben, unauffälligen und angepassten Weg. Nach dem Abitur macht sie eine Ausbildung als Verwaltungsangestellte und merkt schon nach kurzer Zeit: „Eigentlich bin ich hier am falschen Platz.“ Aber hatten ihre Eltern nicht so sehr zu diesem Beruf geraten: „Kind, lern was Vernünftiges und Sicheres“. Wie froh ist sie, als sie nach der Geburt ihres ersten Kindes, ohne für Aufsehen zu sorgen, die Behörde verlassen kann – natürlich mit der beruhigenden Rückkehrgarantie. Durch einen Mutter-Kind-Kreis in einer Gemeinde lernt sie andere Mütter kennen. Sie besucht Gesprächskreise, wagt Gedanken zu denken, die ihr bisher fremd und vielleicht ein bisschen beängstigend schienen: „Wer bin ich eigentlich? Wer verbirgt sich hinter der angepassten, braven Fassade?“ Sie wagt es zu träumen und begibt sich dabei auf ein neues Terrain, denn sie verlässt damit – auch wenn es zunächst „nur“ gedanklich geschieht – die alten Sicherheiten, die da heißen: Ich tue, was andere von mir erwarten und bin mir daher deren Wohlwollen sicher. Aber zur gleichen Zeit vernimmt sie immer deutlicher eine andere Stimme. „Du bist eine besondere Frau!“ Und Silke beginnt, ihren Traum zu leben: Als Silkes Kinder groß genug sind, um wieder in den Beruf zurückzukehren, geht sie mit allen Konsequenzen den anderen Weg – ihren Weg, der für sie Über im Glauben Begründeter Selbstannahme führt. So beginnt sie ein Pädagogikstudium, statt wieder in den alten, ungeliebten Beruf zu gehen. Sie gibt alte Sicherheiten auf und riskiert den Weg ins unbekannte Land.

Frauen, die in engeren Kontakt mit sich selbst, also den eigenen Bedürfnissen, Stärken, Schwächen kommen, können sich besser gegen Grenzüberschreitungen wehren. Sie entwickeln Mut, nicht mehr an der falschen Stelle zu schweigen, zeigen nicht mehr lange Verständnis, wo ein kritisches Wort richtig am Platz wäre. Aber auch Frauen, die so gar nicht die Aura der unscheinbaren, angepassten Frau haben, sondern eher aktiv und äußerst dynamisch wirken, sind nicht unbedingt näher bei sich und dem Finden des eigenen Stils.